Faszination Gehen

Im Frühjahr dieses Jahres weilte ich mit dem Bundeskader Gehen im Trainingslager in Südafrika. Angeführt von dem Bundstrainer Ron Weigel bereiteten sich Marcel Lemberg, Nils Brembach, Carl Dohmann, Nils Cristopher Gloger, Hagen Pohle und Christopher Linke auf die EM-Saison vor. Sehr erfolgreich, denn die 4 letztgenannten haben die Norm für Zürich geschafft. Das ist ein Novum im Gehsport, noch nie war die Leistungsdichte in einem Jahr so hoch. Ergänzend zu den physiotherapeutischen Behandlungen kam die Trainingsbetreuung hinzu. Zu besseren Zeiten, konnte ich 10km in 47.11 Minuten laufen, diese Jungs gehen 10km in rund 41 Minuten, haben also immer ein Bein auf dem Boden.
In der Spitze 45km am Vormittag, so in gut 4h20, und dann am Nachmittag noch einen regenerativen Dauerlauf über 10km in ca. 42 Minuten, nötigte mir den allergrößten Respekt ab. Fleiß, Technik, Kraftausdauer, Durchhaltewille und Zähigkeit sind in dieser Disziplin vereint. Meine Taufe im Kreis der Geher erhielt ich während eines Bergangehens. Auf 2.300m Höhe sollte ich mal einen km mitgehen. Während ich blau anlaufend den Servicewagen aus dem Auge verlor, zischten die Geher mit einem 5er Schnitt fröhlich grinsend an mir vorbei. Faszinierend.
In einem Herbsttrainingslager ergab sich die Gelegenheit, Jonas der Nachwuchstrainerin Manja Berger vorzustellen. Nach einem ca. 45 minütigen Probetraining war die Entscheidung gefallen. Jonas wechselte vom Mittelstreckenläufer mit einer Bestzeit von 2.05 Minuten über 800m und 37.40 Minuten über 10km zum Gehsport. Für alle Läufer die nicht in der Jahrgangsspitze mithalten können, ist das Gehen eine echte Alternative. Vorgemacht hat es Hagen Pohle, der als U18 Läufer zum Gehen gewechselt ist und mit seinen Ausdauerfähigkeiten im Gehsport rasch zu internationalen Titeln gegangen ist.
Trainingsziel von Jonas war es seit Anbeginn seines Leichtathletiktrainings sich einmal für eine Deutsche Meisterschaft in einer Einzeldisziplin zu qualifizieren. Angefangen als Diskuswerfer und Mehrkämpfer, wechselte er dann zum Lauf. Über 2000m Hindernis verpasste er die Qualifikation um 25 Sekunden. Nach nur einem halben Jahr Gehtraining, und erst in seinem 2. Wettkampf über 10km Gehen erreichte er am 18.05.2014 in Naumburg das Ziel in 54 Minuten 39 und damit die Teilnahme bei den Deutschen Jugendmeisterschaften in Wattenscheid. Dass er gleichzeitig sein Abitur baute beweist, dass die unten stehende Vereinbarkeit von Leistungstraining und Schule gegeben ist, sofern man Prioritäten setzt und konsequent am Ball bleibt.
Darüber hinaus läßt sich ebenso erkennen, dass eine rechtzeitige und ungeschminkte Analyse der eigenen Leistungsfähigkeit, und die damit einhergehende Wahl der aussichtsreichsten Disziplin, zum Erfolg führt. Im Wurf hätte er eine Endkampfchance auf Landesebene gehabt, im Lauf war er Platz 51 in Deutschland, im Gehen nimmt er an Deutschen Meisterschaften teil. Auch wenn die Jahrgangsspitze noch ein gutes Stück weg ist, dabei sein ist besser als nicht dabei sein.
Die Leichtathletik bietet viele Alternativen, wer bereit ist, sie zu nutzen, kann den individuellen Erfolg optimieren. Diese Erfolgschancen darzulegen ist die Aufgabe jedes engagierten Trainers, sie zu nutzen, liegt bei den Athleten. Ob Hammerwurf statt Kugelstoß, Dreisprung statt Weitsprung, Mehrkampf statt Einzel, oder Gehen statt Laufen.

TH

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